Das Schiffercafé in Holtenau ist ein Ort voller Nostalgie, der das Gefühl von Heimat und Fernweh in mir weckt. Ich habe mich der Seefahrerromantik hingegeben und bin dort für einen Moment dem Alltag entflohen. Der neuen Schifferbude nebenan habe ich auch einen Besuch abgestattet.
Es ist schon Anfang Oktober. Ich habe Glück, denn die goldene Herbstsonne verwöhnt die Fördestadt heute noch einmal. Der perfekte Tag, um das Schiffercafé in Holtenau zu besuchen. Das Café liegt direkt am Tiessenkai, wo sich Kieler Förde und Schleuse zum Nord-Ostsee-Kanal treffen. Das Wasser glitzert in der Sonne, die Segel eines Schiffes klappern im Wind und ein Zweimaster kehrt gerade zurück in den Hafen. Ein malerisches Bild. Das ist meine Heimat!
Schon seit November 2009 werden im Schiffercafé vor allem regionale Fischspezialitäten angeboten. Auf der sonnigen Terrasse haben sich bereits zahlreiche Besucher eingefunden. Beim Betreten des unter Denkmalschutz stehenden Kontorhauses – hier handelte einst Hermann Tiessen von 1927 bis 2005 mit Schiffsausrüstungen – fällt mir direkt das große, dunkelgrüne Wandregal ins Auge. In den kleinen Fächern, die noch aus Tiessens Zeit stammen, gibt es unendlich viele Schätze zu entdecken: Kaffeedosen in allen möglichen Formen, Holzfiguren, alte Radios oder Buddelschiffe. Ich male mir aus, dass zu jedem Gegenstand sicherlich eine Geschichte gehört. Meine Blicke wandern hoch zur Decke – überall baumeln Petroleumlampen, Taue, Haken. Ich habe das Gefühl, mich in einem Tante-Emma-Laden für Seebären aus anderen Zeiten zu befinden. Vier ältere Damen haben zum Kaffeeklatsch auf den nostalgischen Sofas Platz genommen.
Es ist Frühstückszeit. Inhaber Alexander Stieler kommt durch eine Schwenktür aus der Küche. Er trägt ein Tablett mit allerlei Fischbrötchen. Der große, blondhaarige Mann mit dem marineblau-weiß-gestreiften Hemd begleitet mich auf die Terrasse. Ich möchte mehr erfahren über ihn und das Schiffercafé, das sogar schon zweimal Schauplatz des Kieler Tatorts war.
Alexander ist gastronomischer Quereinsteiger. „Ich bin eigentlich gelernter Speditionskaufmann, habe lange im Veranstaltungsgewerbe gearbeitet“, erzählt er. Geboren ist der 41-Jährige in Carbonia, eine kleine Stadt auf Sardinien. Besonders beeindruckend finde ich, dass er darüber hinaus schon 27 Wohnsitze in der ganzen Welt hatte. Mir sitzt also ein Weltenbummler gegenüber, der letztlich im Kieler Hafen angelegt hat. „Ich komme von überall und nirgends – genauso wie die vielen Gegenstände aus dem dunkelgrünen Regal. Jetzt lebe ich da, wo ich hingehöre. Ich bin eben ein Nordlicht“, sagt der Vater eines Sohnes.
Die gemütliche, maritime Atmosphäre mit Geschichte und vor allem der leckere Fisch sind für mich typisch nordisch. „Hier kommt der Fisch direkt aus der Ostsee über die Kaimauer in die Küche“, erzählt mir Alexander. Geangeltes vom Holtenauer Fischer – frischer geht es nicht. Zu meinem Erstaunen stammen – bis auf fünf Ausnahmen – alle Produkte aus einem 25-Kilometer-Radius rund um Holtenau. „Die Muscheln beziehen wir zum Beispiel von einem Züchter direkt am Tiessenkai. Demnächst wird es sogar Garnelen aus Strande geben“, sagt Alexander, während er aufs Wasser blickt.
Das Schiffercafé tanzt aus der Reihe. Jeden Sonntag finden sich hier Menschen unterschiedlichsten Alters auf der wahrscheinlich kleinsten Tanzfläche Kiels zum Tangoabend ein. Dieser Tanz stammt zwar nicht aus der Region, ist mit dem Schiffercafé aber schon lange zu einer Einheit verschmolzen. „Mein Vorgänger war Kapitän und hat die Idee einer Tangobar von seiner Buenos-Aires-Reise mit an den Tiessenkai gebracht. Ich wollte diese Tradition fortführen“, sagt Alexander, der mit einer Bierkiste in der Hand auch schon mal mittanzt.
Der charismatische Inhaber hat das Nebenhaus als Ergänzung zum Café zu einem Fischrestaurant umgebaut. In der Schifferbude werden seit Ende September kleine, aber feine Fischgerichte à la Carte angeboten. Der Blick auf die Förde fehlt dabei natürlich nicht. Die Einrichtung ist einfach „entstanden“, wie es Alexander formuliert. „Ich liebe es unkompliziert und plane nie etwas im Detail durch. So entstehen die Dinge einfach.“ Das klingt für mich nach seinem Erfolgsrezept.
Während Alexander sich wieder um seine Gäste kümmert, setze ich mich mit einem leckeren Lachsbrötchen in die Sonne mit Blick aufs Meer. Ein Schiff verlässt gerade den Kai und macht sich auf in die Ferne. Ich gerate ins Träumen von fernen Ländern und der großen Weite. Zwischen Heimat und Fernweh steht mir der Sinn im Schiffercafé in Holtenau. Dieses besondere Gefühl habe ich an keinem anderen Ort.
Fotos: Finja Schulze
Super!