Wo ich genau anfangen soll, wenn ich vom Modeladen Vogelmilch in Kiel berichte, weiß ich nicht. Es gibt so viele Gedanken, die mir zu diesem märchenhaften Ort einfallen.
In jedem Fall brach es mir ein klein wenig das Herz, als Vogelmilch vor knapp einem Jahr seine Türen im Jungfernstieg schloss und aus Kiel verschwand. Zurück blieb lediglich ein Schild an der Fassade und eine verschnörkelte Vogeltapete an leerstehenden Wänden. Immerhin – dieser Anblick ließ mich an meine ersten Besuche bei Vera und ihrem einzigartigen Laden denken. Damals bewohnte ich eine kleine Dachgeschosswohnung in der Damperhofstraße, nahe des Schrevenparks.
Jeden Morgen fuhr ich mit meinem Rad den holprigen Jungfernstieg entlang – vorbei an Vogelmilch. Und kaum ein Mal kam ich drum herum, nicht anzuhalten und in die herrlich dekorierten Schaufenster zu spähen – egal wie verspätet ich bereits war. Oft schien es, als hätte sich der Schaufensterinhalt wie von Zauberhand über Nacht ausgewechselt. Jeden Tag kam etwas Neues hinzu, etwas Altes verschwand. Ich erinnere mich an surreale Oktopuslampen, Koffer voller Knopf-Ohrringe, mit buntem Allerlei behangene Äste und natürlich an die märchenhaften (meist selbstgenähten) Kleider, Röcke und Blusen, die Vogelmilch so besonders machen.
Hier habe ich eine Vielzahl an persönlichen Lieblingsstücken ergattert. So lagern in meinem Schrank Blusen aus feiner Seide, Kleider mit Puffärmeln und 70er-Jahre-Blümchenmuster oder auch ein herrlich ausgefallener Rokoko-Mantel – alles Schätze, fast zu schade zum Anziehen. Mein treuester Begleiter aus dem Hause Vogelmilch ist allerdings ein mädchenhaftes Kleid aus einem einzigartigen, mit Matrjoschkas bedrucktem, Stoff. Egal wo ich mit diesem Kleid auch hingehe – Restaurant, Arbeit, Nachtleben – immer wieder werde ich nach seiner Herkunft gefragt.
Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als ich es stolz wie Oskar mit zu mir nach Hause nehmen durfte. Es war einer dieser eisigkalten, schneereichen Tage im Dezember. Ich war mit einer Freundin unterwegs zum Weihnachtsmarkt. Auf dem Weg dorthin wollte ich das Kleid abholen, welches ich zuvor mehrere Tage mit glänzenden Augen im Schaufenster beobachtet hatte. Draußen war es bereits dunkel. Bei Vogelmilch empfingen mich wärmendes Licht und dieser unverwechselbare Duft nach Veras frisch genähten Klamotten. Auf ihrem Verkaufstresen standen kleine Schalen, bis obenhin gefüllt mit russischen Schokoladentäfelchen.
Ich bezahlte, schwang mir die Tasche samt Kleid stolz über den Arm und hörte den ganzen Abend nicht auf zu strahlen. Klingt kitschig? Das ist es vielleicht auch. Es sind diese Kleinigkeiten, die mir den Alltag verzaubern. Vogelmilch hat jahrelang einen großen Teil dazu beigetragen, mich immer wieder überrascht und damit ein bisschen glücklicher gemacht.
Nun könnt ihr vielleicht besser nachvollziehen, warum ich so ausgesprochen bedrückt über das plötzliche Verschwinden meines einstigen Lieblingsladens war. Aber passt auf: Als ich vor ein paar Wochen einmal wieder in den Jungfernstieg einbog (mittlerweile ohne dieses altbekannte erwartende Gefühl, in was ich mich heute bei Vogelmilch verlieben würde) entdeckte ich ihn – den neongrün leuchtenden Vogelmilch-Schriftzug über einem Geschäft, welches mir zuvor nur als muffige Bar aufgefallen war.
Keine Spur mehr von der einst düsteren Bar-Fassade. Ganz Vogelmilch-typisch strahlte mir nun alles hell und freundlich entgegen. Wie sich die Schaufenster damals über Nacht umdekoriert zu haben schienen, so war der gesamte Laden nun wie ein Phönix aus der Asche auferstanden – war einfach wieder da, so bezaubernd wie eh und je. Fast so, als hätte ebenfalls nur eine kurze Nacht dazwischen gelegen. Im Inneren springt mir direkt eine wunderschöne Wandmalerei ins Auge. Zu sehen sind drei Damen. Sie tragen ausladende Kleider und schwingen Sonnenschirmchen gen Himmel.
,,Das ist Biedermeier-Mode, die Malerei stammt aus den 50er-Jahren“, verrät mir Vera. Beim Restaurieren der kleinen Geschäftsfläche kam das Kunstwerk nach mehreren heruntergenommenen Tapeten zum Vorschein. Das Verrückteste an der Geschichte: Die Malerei wirkt wie für Vogelmilch gemacht, passt einfach perfekt zu Vera und ihrem Laden. Da könnte man fast anfangen, an Schicksal zu glauben, oder an Magie, oder einfach an beides…
Vogelmilch läd dich dazu ein, in Welten voller märchenhafter Geschichten, Prinzessinnen und Seepferdchen zu verschwinden. Komm vorbei und überzeug dich selbst!
Besuche Vogelmilch:
Jungfernstieg 9
24103 Kiel
Hinterlasse deinen Kommentar